Die Situation in Polen
2020 sind 30 Jahre seit den ersten demokratischen Kommunalwahlen in Polen vergangen. Seitdem übernahmen immer mehr Frauen politische Funktionen: Aktuell liegt der Anteil der Bürgermeisterinnen/Stadtpräsidentinnen bei rund 10 %. Einige der größeren Städte, u.a. Gdańsk (Danzig) und Łódź, werden von Frauen regiert.
Die Beteiligung von Frauen in der Kommunalpolitik war anfänglich ein politisches Randthema. Heute jedoch ist das gesellschaftliche Bewusstsein für die Bedeutung der politischen Partizipation von Frauen ausgeprägter, vor allem bei den Frauen selbst, aber in zunehmenden Maße auch bei den Männern.
Denn das Bild der polnischen Kommunalverwaltungen verändert sich unter dem Einfluss der Frauen, die an deren Spitze stehen, bis heute. Die Bürgermeisterinnen bzw. Stadtpräsidentinnen sind sehr gut ausgebildet, sie bringen ihr Fachwissen und ihre persönlichen Kompetenzen wie Mut und Entschlossenheit, ein. Sie haben darüber hinaus neue Akzente und Themen gesetzt wie Bildung, Kinderbetreuung Migration, Demografie, Jugend- und Seniorenpolitik, Arbeitslosigkeit unter älteren und alleinlebenden Frauen bis hin zu Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen.
Zugleich bilden die (parteiübergreifenden) Bündnisse unter Frauen, wie der polnische Frauenkongress, eine starke Säule der demokratischen Opposition und Zivilgesellschaft. Die Stärke dieser Bündnisse liegt vor allem auf kommunaler Ebene. All dies hat zu einer Steigerung der Lebensqualität in den Städten und Regionen beigetragen.
Die 1990 in Polen eingeführte Kommunalreform und die Einführung des Subsidiaritätsprinzips schufen die Voraussetzungen für politische Vorhaben auf der lokalen Ebene. Doch anfänglich übten nur wenige Frauen ein Mandat aus. Vielen Frauen fehlte es an Erfahrung in der Politik und an Vertrauen in die eigenen Kompetenzen. Ein weiteres Hindernis für eine Kandidatur war die Befürchtung, familiäre, berufliche und politische Verantwortung nicht miteinander verbinden zu können. Auch die finanzielle Situation spielte eine bedeutende Rolle, da sich nicht jede Frau einen Wahlkampf leisten konnte. Gleichzeitig waren Frauen, die Vorbilder von politisch engagierten Menschen in ihrem Familienkreis hatten, mutiger, für Kommunalwahlen zu kandidieren.
In den ersten zwanzig Jahren kristallisierte sich auch ein weiteres Problem heraus, mit dem Frauen zu kämpfen hatten: das Wahlsystem. Erst mit der Reformierung des Wahlsystems erhöhten sich die Chancen für Frauen auf den Listen zu kandidieren.
Kommunale Reformen und Quoten
So wurde 2011 eine gesetzliche Quotenregelung eingeführt, welche den Anteil von Frauen an Listenplätzen für die Gemeinde, Städte sowie das polnischen Parlament in Höhe von 35 Prozent vorsieht. Allerdings ist nicht festgelegt, auf welchen Listenplätze Frauen kandidieren. Werden Frauen eher auf den weniger aussichtsreichen Plätzen aufgestellt, verringern sich entsprechend ihre Chancen. Zudem gelten auf den unteren Ebenen (bei den Wahlen für die Gemeinderäte in den Städten unter 20 000 Einwohner*innen) keine Quoten.
Der Frauenanteil beträgt auf den Listen der größeren Parteien zwar über 40 %, wie bei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS). Bei den polnischen Grünen (Partia Zieloni) beträgt er sogar über 50 %. Durchschnittlich betrug der Frauenanteil an den vorderen Plätzen bei allen Parteien jedoch nur 24 % (2018).
Der Anteil der Frauen als Kandidatinnen für den Posten der Stadtpräsidentin stieg von 13,2 % (2010) auf 17,3 % (2018) und für den Posten der Bürgermeisterin von 13,2 % (2010) auf 18,1 % (2018). Wenn es in diesem Tempo weiterginge, würden wir 50 Jahre brauchen, um das Verhältnis zwischen Frauen und Männer allein bei den Kandidati*innen anzugleichen.
Aktive Frauenbewegung
Ein wichtiger Akteur ist das Institut für Öffentliche Angelegenheiten, dem wir auch die Erforschung und Beobachtung der Situation von Frauen in der Kommunalpolitik verdanken. Das Institut, widmet dem Problem des gleichberechtigten Zugangs von Frauen zur Kommunalpolitik sowie ihrem Anteil an Sendezeit in den Medien und der Art und Weise, wie die Kandidatinnen dort präsentiert werden, große Aufmerksamkeit. Auch der Kongress der Frauen spielt beim Wecken des Interesses von Frauen am Thema Kommunalpolitik, bei ihrer Qualifizierung für politische Ämter und Mandate und ihrer Vernetzung nach wie vor eine entscheidende Rolle. Zusätzlich zum Frauenkongress sind auch eine Reihe weiterer feministischen Organisationen gegründet worden, die sich vor allem auf regionaler Ebene für die Interessen und Anliegen von Frauen einsetzen. Dies hat das Bewusstsein dafür geschärft, wie sehr Frauen gebraucht werden und wie wichtig ihre Präsenz gerade in der Kommunalpolitik ist.
Damit noch mehr Frauen sich am politischen Leben auf der kommunalen Ebene beteiligen können, bleibt es wichtig an strukturellen Lösungen zu arbeiten, die die tatsächliche Gleichstellung gewährleisten können. Dazu würde in erster Linie die Einführung der alternierenden Besetzung der Wahllisten mit Männern und Frauen gehören. In den Parteien selbst könnten zudem Koordinierungsstellen implementiert werden, die besonders auf die Belange der Frauen innerhalb der Parteien achten oder die Durchführung von Mentoring- und Empowerment-Programmen begleiten. Schließlich bleiben auch gute Praxisbeispiele, die Vernetzung und die Möglichkeit voneinander zu lernen wichtige Aspekte, die überregional und international noch ausgeprägter verfolgt werden könnten.
Zahlen, Fakten, Informationen zum Weiterlesen
Eine interessante Studie vom Projektpartner Instytut Spraw Publicznych – Institute of Public Affairs zum Thema Gewalt gegen Politikerinnen lesen Sie hier (auf Englisch).