Die Situation in Deutschland
Die Bedeutung von starken, funktionsfähigen Kommunen, die für Zusammenhalt sorgen und den Menschen eine Heimat geben, ist angesichts der jüngsten Krisensituationen sehr deutlich zu Tage getreten. Ob die Integration von geflüchteten Menschen oder die Bewältigung der Corona-Pandemie – Frauen und Männer in den kommunalen Führungspositionen sind stärker denn je in ihrem Amt gefordert. Ohnehin nimmt im föderalen System der Bundesrepublik die kommunale Selbstverwaltung eine herausgehobene Stellung ein: Dem Subsidiaritätsprinzip folgend sollen politische Entscheidungen möglichst auf der jeweils tieferen Ebene erfolgen.
Unstrittig ist, dass in die Gestaltung von Kommunalpolitik vielfältige Perspektiven einfließen sollten. Doch nach wie vor sind die Stimmen von Frauen hier deutlich seltener zu hören: Der Anteil von Frauen unter den Bürgermeister*innen lag im September 2020 bei 9 % und unter den Oberbürgermeisterinnen im April 2020 bei 8,1 %. 2008 lag er in den deutschen Großstädten immerhin noch bei 17,1 %. Auch bei den Landräten fehlen die Frauen: Über 90 % der 294 Landkreise werden von Männern regiert.
Unter den (ehrenamtlichen) Kreis-, Stadt- und Gemeinderäten ist der Anteil höher und beträgt im Durchschnitt 27 %. Aber auch dies bedeutet, dass in den Kommunen mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen über die Belange der Bürgerinnen und Bürger entscheiden.
Zudem gibt es im Bund und in den Landesparlamenten Rückschritte zu verzeichnen: im Deutschen Bundestag liegt der Anteil der weiblichen Parlamentarierinnen bei 35 % und damit immer noch 4 % unter seinem Höchststand in der Wahlperiode 2013-2017 (38 %). In den einzelnen Bundesländern liegt der Anteil durchschnittlich bei 30 %.
Warum sind Frauen unterrepräsentiert?
Die anhaltende Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik hat viele Gründe. Zum einen wirken die historischen Weichenstellungen nach, denn die moderne parlamentarische Demokratie entstand explizit unter dem Ausschluss von Frauen und ihre Verfahren, formellen und informellen Spielregeln sind weiterhin männlich geprägt. Zum anderen spielen soziokulturelle Faktoren eine Rolle: Frauen haben in der Regel weniger Zeit und Ressourcen um Beruf, Familie und zeitaufwändiges partei- bzw. kommunalpolitisches Engagement zu vereinbaren. Zudem zeigen die Nominierungspraktiken in den Parteien, dass Männer größere Chancen haben als Kandidaten aufgestellt zu werden, sofern sich die Parteien nicht selbst verbindliche Regelungen gegeben haben. Aktuell haben nur drei Parteien – Bündnis 90/Die Grünen, die LINKE sowie die SPD – Geschlechter- bzw. Frauenquoten.
Schließlich spielt das Wahlrecht eine wichtige Rolle: im Verhältniswahlrecht mit Listen haben Frauen größere Chancen als im Mehrheitswahlrecht. Dies kommt insbesondere bei den Wahlen für das Bürgermeisteramt zum tragen, da die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in allen Bundesländern direkt durch die Bevölkerung gewählt werden. Es kann sich immer nur eine Person durchsetzen und entsprechend hoch ist die Konkurrenz – auch innerhalb der eigenen Partei. Männer haben hier oft die besseren Startbedingungen: Sie üben häufiger herausgehobene Berufe in entsprechenden Positionen aus, sie haben mehr Zeit sich bekannt zu machen, ihre Netzwerke zu pflegen und sie verfügen häufig über größere finanzielle Ressourcen, um einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen.
Was kann getan werden?
In allererster Linie sind die Parteien selbst gefordert. Sie müssen kontinuierlich für mehr Frauen als Mitglieder werben und ihnen dann aber auch reale Chancen für ein politisches Amt geben. Qualifizierte Frauen gibt es genügend – in den zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereinen und natürlich auch in der Kommunalverwaltung selbst. Es geht darum, Frauen gezielt anzusprechen und zu unterstützen und zwar nicht erst, wenn die nächste Wahl vor der Tür steht oder wenn sich kein anderer Kandidat findet, sondern rechtzeitig und vorausschauend.
Eine wichtige Rolle spielt auch der Aufbau von Netzwerken unter Frauen. In Deutschland ist mit dem Helene Weber-Kolleg, das vom Bundesfamilienministerium gefördert und von der EAF Berlin koordiniert wird, ist eine parteiübergreifende Plattform für Frauen in der Kommunalpolitik entstanden. Das Kolleg bietet auf vielfältig Weise Information- und Unterstützung, z.B. in Form von Mentoring- oder Empowerment-Programmen. Für herausragende Leistungen von Frauen in der Kommunalpolitik wird zudem seit 2009 der Helene Weber-Preis vergeben, benannt nach einer der vier Mütter des Deutschen Grundgesetzes.
2019 fand erstmals ein vom Deutschen Städte- und Gemeindebund organisierter großer kommunalpolitischer Frauenkongress statt. Insgesamt sind die kommunalpolitischen Spitzenverbände in Deutschland wichtige Akteure, um die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in den kommunalen Führungspositionen voran zu bringen.
In den letzten Jahren sind auch unter den Bürgermeisterinnen selbst Netzwerke entstanden. Manche informell, wie in Baden-Württemberg, manche organisiert, wie in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Hierüber können sich Bürgermeisterinnen gegenseitig unterstützen und austauschen, aber auch als Vorbilder sichtbar werden und andere Frauen ermutigen.
Zahlen, Fakten, Informationen zum Weiterlesen
Viele Informationen und Programme rund um Frauen in der (Kommunal-)Politik finden Sie auf der Webseite des Helene Weber Kollegs.
Die Studie „Frauen führen Kommunen“ (2014) der EAF Berlin untersucht die Karrierewege von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Ost- und Westdeutschland. 2019 - 30 Jahre Deutsche Einheit - schließt die EAF Berlin an die Studie an und führt mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa und in Partnerschaft mit der Zeitschrift Kommunal eine repräsentative Befragung unter insgesamt 1.100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeisterin in Gemeinden mit mindestens 1.000 Einwohner*innen im gesamten Bundesgebiet durch. Die Untersuchung “Bürgermeisterinnen und Bürgermeisterin 30 Jahre nach der Wiedervereinigung” in den Sie im Download-Bereich.
Über 1.000 Kommunalpolitikerinnen aus mehr als 500 repräsentativ ausgewählten Städten und Gemeinden haben in der Studie „Engagiert vor Ort“ der EAF Berlin, die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt wurde, berichtet, wie sie Kommunalpolitikerinnen geworden sind und welche Erfahrungen sie als diese gemacht haben.